Donnerstag, 22. Juli 20:00
Moralische Ansprüche, die man an die Gesellschaft oder auch einzelne Personen stellt, sind halt so eine Sache. Schneller als man denkt, läuft man da Gefahr, über Fakten und Verhältnisse zu urteilen, die man selber gar nicht einschätzen kann.
Nur so als Beispiel: Es ist ziemlich einfach, einen Politiker dafür zu verurteilen, dass er sich beim Organisieren von FFP2-Masken selber mit 100.000,- Euro belohnt hat. Man kennt die genauen Umstände nicht, wie der Deal zustande gekommen ist – und außerdem: Wer von uns war bereits in einer solchen Situation und hat dann die 100.000,- Euro abgelehnt?
Es ist eben so eine Sache...

Ich lese derzeit ein besonders interessantes Buch: »Virus« von Matthias Eckoldt. Natürlich kommt auch das Coronavirus in diesem Buch vor aber eigentlich handelt es sich um die Geschichte der Viren ganz allgemein, von ihrer ersten Entdeckung bis in die heutige Zeit. Und da komme ich auch schon wieder zurück zu der Moral.

Vor ungefähr 60 Jahren wütete ein ganz spezielles Virus in der Welt, welches eine furchtbare Krankheit auslösen konnte: die Poliomyelitis, eher bekannt unter dem Namen Kinderlähmung. Hunderttausende Menschen, vor allem Kinder, verstarben an diesem Virus. Zwei Forscherteams nahmen sich dieses Virus an und entwickelten Impfungen dagegen. Nach schlimmen Fehlschlägen mit noch mehr Toten gelang beiden Gruppen unabhängig voneinander die Entwicklung eines Vakzins.

Eigentlich war die Entwicklung des Impfstoffes von dem Team um den amerikanischen Arzt und Wissenschaftler Jonas Salk nur die Nummer Zwei – aber seine extreme Wirksamkeit und auch die Darreichungsform als Schluckimpfung trat einen unglaublichen Siegeszug um die ganze Welt an. Durch diesen Impfstoff konnte die Kinderlähmung in großen Teilen der Welt praktisch ausgerottet werden. Und Jonathan Salk war mit einem Schlag auf der Forbes-Liste der 100 reichsten Menschen der Welt.

Das zumindest würde man denken, spielte diese Geschichte in der heutigen Zeit. Alleine, die Wahrheit sieht ein wenig anders aus...

Jonathan Salk ließ sich seine Entwicklung absichtlich nicht patentieren, damit jedes Kind auf der ganzen Welt in den Genuss seines Werks kommen könne – was ja auch mehr oder weniger so geschah.
Dieser Mann hat also tatsächlich auf Milliarden von Dollar verzichtet, damit es der Menschheit besser geht. In einem Interview nach dem Patent auf die Polio-Schluckimpfung gefragt hat er (in etwa) geantwortet: »Nein, ich habe kein Patent darauf, die Impfung gehört den Menschen... Könnte man denn die Sonne patentieren?«

Man stelle sich zum Vergleich nur einmal die heutigen Forscher der Pharmakonzerne vor...
Die moralische Einstellung dieses Mannes kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden!

2 Kommentare


(C) mArtin, im April 2024.
Und ich bin wirklich nicht immer stolz darauf.
Manchmal aber sehr wohl.


Da einige meiner Texte ohnehin bereits an anderer Stelle verwendet wurden/werden, dürfen sie also unter Angabe der Quelle auszugsweise verwendet werden. Bitte aber den passenden Link zum entsprechenden Beitrag im Rahmen der Zitat-Kennzeichnung kopieren und einfügen. Denn irgendwann möchte ich auch reich und berühmt werden. Oder auch nicht. Herzlichen Dank und weiterhin viel (Lese-)Freude!