Mittwoch, 01. Juni 20:30
Ich denke, ich habe jenen Teil von mir, der für »toxische Männlichkeit« zuständig ist, ganz gut im Griff. Dieser Begriff, der derzeit groß in Mode ist, beschreibt im Prinzip nichts anderes als jene Art von falsch verstandener Männlichkeit, die niemand wirklich schätzt. Mit Ausnahme desjenigen, der selber toxisch männlich ist.

Es gibt bei mir allerdings eine große Ausnahme. Wenn ich mit dem Rad unterwegs bin – und bergauf fahre. Dann verstehe ich kaum Spaß und es tritt mit einem Mal eine geballte Ladung dieser toxischen Männlichkeit zutage. Aber da denke ich mir einfach: OK, das ist in Ordnung. Wenn ich dafür zum Beispiel beim Autofahren nie in brenzlige Situationen aufgrund eines dümmlich-männlichen Verhaltens komme und das wirklich nur in dieser einen Situation (mit dem Fahrrad am Berg – und da nur bergauf – denn bergab fahre ich langsamer als alle anderen) so ist, dann bin ich damit hoch zufrieden.

Meine Bergstrecke, die ich täglich fahre (außer, ich fahre zum See), die hat mehrere Steigungen. Zwei davon sind etwas länger: Die eine ist doch ein wenig heftig, die andere ist extrem heftig. Dazwischen liegt eine etwa 70 Meter lange Gerade. Ich fahre heute gegen drei am Nachmittag gedankenversunken auf der ersten Steigung, da überholt mich plötzlich ein Typ mit 10.000,- Euro-Rad, Profi-Dress und Click-Pedalen. Es ist kurz vor der Zwischengeraden zur zweiten Steigung. Im Vorbeifahren kann ich seine geringschätzende Haltung gegenüber dem Typen mit Sandalen und 100,- Euro-Rad direkt riechen.

Er fährt zwar etwas besser/schneller als die sonstigen Nulpen (die in diese Falle tappen), dennoch wittere ich den süßen Duft einer gewonnenen großen Bergwertung. Ich lasse ihn also vorbei und über die Gerade vor der richtig harten Steigung holt er etwa 40 Meter Vorsprung heraus. Das ist genau jene Distanz, in welcher man sich sicher wähnt – da man seine/n Verfolger nicht mehr gut hören kann.
Er kommt also auf die  e c h t e  Steigung und klettert hinauf. Sobald ich bei dieser angelangt bin, lege ich einen Zahn zu. Genau das nämlich, und nur das, ist mein großes Geheimnis: dort die Kraft hineinzulegen, wo die Qualität eines 10.000,- Euro-Rades keine große Rolle mehr spielt. Dort geht's nämlich nur mehr um eines, genau genommen um zwei: Oberschenkel und Waden. Binnen weiteren 150 Meter habe ich ihn, klebe an seinem Hinterreifen fest, und erreiche damit genau das, was beabsichtigt ist: Er dreht sich kurz um, woher denn die Geräusche am Kies der Forststraße kommen, und blickt – doch äußerst erstaunt – in mein Gesicht. Das freundlich lachende Gesicht des Typen mit den Sandalen.

Etwa weitere 150 Meter gönne ich ihm noch die Führung – auch um selber abzuschätzen, ob der am Limit radelt oder nicht. Das Ergebnis meiner Einschätzung: Ja, er ist ziemlich am Limit – und ich selber eigentlich nicht. Also gehe ich kurz vor der großen Lichtung aufs Ganze und überhole. Aber nicht so wie er, auf der Geraden mit lockerem Treten, nein – mit dem vorletzten Gang und so richtig ehrlich zum Limit hin. Ich sehe es noch ganz exakt vor meinem geistigen Auge: ich fliege förmlich an ihm vorbei. Meine Sandalen hinterlassen in seiner Wahrnehmung wahrscheinlich lediglich einen verwischten Streifen, im bleibt nicht mehr, als verdutzt in das rote Katzenauge am Ende meines Rades zu blicken. Ganz am Ende der Lichtung drehe ich mich noch einmal um und sehe ihn ganz klein, am Anfang derselben relativ lustlos dahinstrampeln. »Tschakkaaaa!!« – ja, es war eine perfekte Erniedrigung allerersten Ranges.

Ja, gut, die letzten Sätze lesen sich nicht wirklich sympathisch und/oder einnehmend. Es geht eben um die »toxische Männlichkeit«. Und ich bin sehr froh, dass ich die so ausleben kann und kein 400 PS-Monster dazu brauche. Abgesehen davon ist er ja auch selber ein bisserlbisserl


»a bisserl« = weniger. Noch ein wenig weniger, als wenig.

Am wenigsten wäre dann ein »E u z e r l«.

Aber das ist dann schon so wenig, dass es - jetzt rein in Bezug auf die Menge - fast mit dem »Lecherlschas« in Konkurrenz tritt.
daran schuld. Jeder MTB-Fahrer sollte doch wissen: »Überhole nie jemanden, der mit Sandalen auf einem 100,- Euro-Rad fährt. Es wird Dein Untergang sein...«

2 Kommentare


(C) mArtin, im April 2024.
Und ich bin wirklich nicht immer stolz darauf.
Manchmal aber sehr wohl.


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